Demokratie pur: Österreicher wollen im Juni über einen EU-Austritt abstimmen
18. Februar 2015
Wien. In allen EU-Ländern formieren sich inzwischen die Gegner der Brüsseler Union, die immer selbstherrlicher und in immer grundsätzlicheren Fragen über die Köpfe der EU-Bürger hinwegregiert. Aber: Während in der Bundesrepublik Deutschland das Volk über seine Meinung zum Thema Europäische Union nicht gefragt wird, bietet sich in Österreich für die Bürger Gelegenheit zum Protest, und zwar bei einem „EU-Austrittsvolksbegehren“ Ende Juni.
Das österreichische Innenministerium (BMI) mußte das Volksbegehren, das von der überparteilichen „Initiative Heimat und Umwelt“ gestartet worden ist, nun offi ziell vom 24. Juni bis zum 1. Juli 2015 zur Eintragung zulassen. Zunächst wehrten sich die österreichischen Behörden mit allen Mitteln gegen das „EU-Austrittsvolksbegehren“. Im Januar 2012 lehnte das Innenministerium das Volksbegehren mit dem Hinweis auf einen schwerwiegenden Formfehler ab. Der Antragstext für das Volksbegehren sei nicht annähernd identisch mit jenem, den die Unterstützer unterzeichnet hätten. Es sei nicht sichergestellt, daß die Unterstützer auch wirklich das meinten, was letztlich beantragt wurde.
Gegen diese Ablehnung des Innenministeriums brachten die Initiatoren eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) ein, die Ende Juli 2012 abgelehnt wurde. Es müsse nämlich der volle Text des Volksbegehrens nicht nur im „Einleitungsantrag“, sondern auch auf der „Unterstützungs-Erklärung“ stehen. Die Kläger (Initiatoren) bestritten das, da es für letzeres keine Rechtsgrundlage gebe und außerdem bei anderen Volksbegehren dies ebenfalls schon bisher nicht der Fall gewesen sei.
Daraufhin begannen die Initiatoren des Volksbegehrens mit der Einleitung eines neuen Volksbegehrens und sammelten hierzu Unterschriften auf Unterstützungserklärungen, auf denen der volle Wortlaut des Einleitungsantrags abgedruckt war. Laut Mitteilung der Initiatoren wurden dieser Tage 10.974 gemeindeamtlich bestätigte Unterstützungserklärungen beim Wiener Innenministerium eingereicht. Ziel des Volksbegehrens ist die „Wiederherstellung eines freien und neutralen Österreichs ohne EU-Bevormundung“.
Der Einleitungstext des EU-Austrittsvolksbegehrens listet die lange Liste der EU-Versäumnisse seit dem Beitritt 1995 auf – es lohnt sich, die aufgeführten Argumente zumindest zur Kenntnis zu nehmen. Wörtlich heißt es: „So gut wie alle Versprechungen vor dem EU-Beitritt vor 20 Jahren, die damals zum mehrheitlichen ,Ja zum EU-Beitritt‘ geführt haben, wurden gebrochen. Anstatt eines Aufschwungs ist es zu einer enormen Abwärtsentwicklung Österreichs auf fast allen Gebieten gekommen: von der steigenden Arbeitslosigkeit, der steigenden Staatsverschuldung, dem Verlust an Kaufkraft der breiten Masse, der steigenden Kriminalität bis hin zum zunehmenden ,Bauernsterben‘ und den massiven Verschlechterungen im Umweltbereich.
Die EU-Entscheidungsebenen werden nach Meinung vieler von Atom-, Gentechnik- und Pharmakonzernen diktiert und von international ausgerichteten Handelsketten, die einer mittelständisch geprägten,krisensicheren und naturverträglichen Nahversorgung keine Chance lassen.“
Die Initiatoren berufen sich bei ihrer Forderung nach einem österreichischen EU-Austritt unter anderem auf ein Gutachten des renommierten Erlanger Staatsrechtslehrers Prof. Albrecht Schachtschneider, das außerordentlich informativ ist und im Internet heruntergeladen werden kann. Schachtschneider führt unter anderem die fehlende Legitimationsgrundlage der EU, den „Verlust nationaler Rechtshoheit“, den „Niedergang der Grundrechtekultur“, die „Ermächtigung zum Kriege“ und die faktisch entstandene „Wirtschafts- und Währungsunion entgegen dem Sozialprinzip“ ins Feld – alles Argumente im übrigen, die für viele andere EU-Mitgliedsländer – auch Deutschland – nicht weniger stichhaltig sind.
Das österreichische Innenministerium mußte nun die Initiative mit dem Begehren eines EU-Austritts zulassen. Die Eintragungsfrist wurde auf den Zeitraum von 24. Juni bis 1. Juli während der Amtsstunden festgelegt. Die Unterschrift kann in den Gemeindeämtern, Rathäusern oder im jeweiligen Magistratischen Bezirksamt der Stadt Wien geleistet werden, wobei ein amtlicher Lichtbildausweis mitzubringen ist.
Wenn mehr als 100.000 Österreicher dieses Volksbegehren unterschreiben, dann muß im österreichischen Parlament darüber diskutiert und entschieden werden. Da ein Volksbegehren keine Volksabstimmung ist, ist die Entscheidung der Bürger nicht bindend. Andererseits gibt es für Bürger derzeit keine Möglichkeit, eine Volksabstimmung einzuleiten. Das haben SPÖ und ÖVP bisher verhindert und wollen es auch in Zukunft – gerade bei EU-Themen. Sie wissen, warum. (ds)