Armes Schwein?


Sendedaten: Freitag, 9. Januar 2015, 20.15 Uhr
Die Deutschen lieben Schweine. Vor allem auf dem Teller: Fast 60 Millionen Tiere wurden
2013 geschlachtet und verarbeitet. Gleichzeitig hat die Schweinehaltung einen miserablen
Ruf, insbesondere die konventionelle Massentierhaltung.

Der Konflikt ist vorprogrammiert: Unversöhnlich stehen sich die Befürworter der biologischen
Landwirtschaft und die konventionell wirtschaftenden Bauern gegenüber. Die Vorwürfe an
die Massentierhaltung sind hinlänglich bekannt: Tierquälerei und Gefährdung des Menschen
durch Hormone, Antibiotika und andere Medikamente. Die normalen Bauern fühlen sich zu
Unrecht pauschal verurteilt. Ist dieser miserablen Ruf der konventionellen Massentierhaltung
gerechtfertigt? Immerhin beschert er uns das, was die meisten Konsumenten wollen: billiges
Fleisch. Was heißt konventionellen Massentierhaltung überhaupt? Es lohnt sich genauer
hinzusehen, wie die Mehrheit der deutschen Schweinezüchter und Schweinemäster
wirtschaften.
Die Schweinemast und Ferkelaufzucht hat heute nicht mehr viel mit der Bäuerlichkeit von
einst zu tun. Man sollte eher von einer industriellen Fertigung von Tieren sprechen, was
bedeutet, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele schlachtreife Tiere zu möglichst niedrigen
Kosten herzustellen.

Verdünntes Eber­Sperma aus der Tube


Vor allem große Anlagen sind dabei von Vorteil: Die riesigen Hallen sind klimatisiert und mit
Spaltböden versehen. Durch die Spalten kann die Gülle in die großen Tanks ablaufen. Viele
Bauern verfügen über eine angeschlossene Biogasanlage, wo aus den
Schweineexkrementen Strom und Wärme für die Anlage produziert wird. Der überschüssige
Strom wird nach dem Erneuerbare­Energie­Gesetz in das Netz eingespeist. Manch ein
Bauer soll damit mehr Geld verdienen, als mit der Schweinezucht.
Schon die Besamung der Sauen geht relativ unromantisch von statten. In der Agrarindustrie
fehlt die Zeit zu warten, bis die Sauen empfängnisbereit sind. Damit alle zur gleichen Zeit
besamt werden können, müssen sie auch zur gleichen Zeit "rauschen". Dem Eber fällt dabei
nur noch die Rolle des Animierherren zu. Durch die Sexual­Duftstoffe in seiner Schnauze
macht er die Sauen "besamungswillig". In vielen Betrieben wird statt einem echten Eber ein
Hormon gespritzt. Dann erfolgt die Befruchtung. Drei Euro kostet die Tube mit verdünntem
Eber­Sperma. Der Aufdruck verrät den Namen des Spendertieres und dass das Ebersperma
nur zwei Tage haltbar ist.

PSE-­Fleisch ist auch schlecht für den Bauern



Das "NN", welches auch auf der Zahnpastagroßen Tuben mit Sperma steht, ist die
Kennzeichnung dafür, dass es "stressstabil" ist. Bei diesem Tier ist das Risiko auf
sogenanntes PSE­Fleisch weniger groß. PSE ist der Fachausdruck für uneingeschränkt
genießbares Schweinefleisch, das allerdings blass (Pale), weich (Soft) und wässrig
(Exudative) ist.
Ein Grund für dieses schlechte Fleisch liegt im Erbgut und dem Stress bei der Schlachtung.
Ein bestimmtes Gen sorgt dafür, dass bei Stress die Rückenmuskeln überhitzt, da das
schwache Herz des Schweins nicht für eine ausreichende Durchblutung und Wärmabfuhr
sorgen kann. Der Muskel denaturiert, Milchsäure wird gebildet und der Rücken schwillt an.
Ist das Tier stressstabil, kommt es nicht zu dieser Überhitzung.

Spitze der Ferkelschwänze wird abgeschnitten



Die Sauen ziehen das Tuben­Sperma dann selbst durch Kontraktionsbewegungen der
Gebärmutter ein. Im sogenannten Wartestall verbringen die Sauen die Tragzeit. Vier bis fünf
Jahre lang sind sie permanent mit der Nachwuchsproduktion beschäftigt. Sobald ihre Ferkel
zur nächsten Station im Aufzuchtprozess kommen, werden sie wieder besamt. Wenn sie
nicht mehr "rentabel" sind, kommen auch sie zum Schlachter.
Die Ferkel werden, wenn sie alt genug sind, ohne Muttermilch auszukommen, in männliche
und weibliche Gruppen geteilt. Von Anfang an sind sie Rivalen um Futter und Platz. Dabei
knabbern die Konkurrenten in manchen Würfen an den Schwänzen ihrer Mitferkel ­ was zu
schmerzhaften, mitunter tödlichen Entzündungen führen kann. In der konventionellen
Massentierhaltung ist daher das Abschneiden der Schwanzspitze üblich. Dadurch, dass sich
an der Stelle wenige Nerven befinden, soll es den Tieren nicht wehtun. Kritiker halten die
Prozedur aber für eine unnötige Quälerei, die man durch andere Haltungsbedingungen
vermeiden könnte.
Zähne der Ferkel werden abgeschliffen
Die Rangordnung machen Ferkel auch mit den Zähnen unter sich aus. Diese werden daher
ein wenig abgeschliffen, um Verletzungen vorzubeugen. Kurz nach der Geburt erhalten die
Ferkel zudem eine Eisen­ und Antibiotikaspritze. Auch in der Massentierhaltung können
Schweine ihren Landwirt von fremden Menschen unterscheiden. Ein guter Draht zwischen
Mensch und Tier ändert aber auch nichts am eigentlichen Zweck solcher Betriebe. Etwa ein
halbes Jahr nach ihrer Geburt werden die Schweine abgeholt. Nach Möglichkeit sollen sie
nicht lange im Tiertransporter bleiben. Die Frage, ob da arme Schweine fahren, werden
Tierrechtler und Fleischesser unterschiedlich beantworten.
Die Reportage "Armes Schwein?" von Sven Jaax, die Sie am Freitag, 9. Januar 2015, 20.15
Uhr sehen können, will wissen, ob es den Schweinen hierzulande wirklich elend geht. Dazu
besucht der Journalist die Schweinezüchter Heinrich und Nadine Henke. Sie sind stolz auf
ihre Arbeit: Mit über 1200 Sauen gehört ihr Betrieb zu den großen Ferkelhöfen in
Niedersachsen. Mit Hingabe kümmern sie sich um die Tiere im Stall: Begrenzter Platz,
kontrollierter Medikamenteneinsatz, kupierte Schwänze und geschliffene Ferkelzähne
gehören für Familie Henke zu den notwendigen Kompromissen, um den enormen Bedarf an
Schweinefleisch zu decken. Sie haben keinen Zweifel daran, dass es ihren Tieren gut geht.
Autor Sven Jaax zeigt die Möglichkeiten, Mechanismen, Vorschriften und Zwänge, die den
Alltag der Schweinebranche bestimmen. Und deren Folgen für die Verbraucherinnen und
Verbraucher.
Dezember 2014 / ARD/WDR /SRR
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