Alle wollen in die EU – nur ein Völkchen nicht

Wenn die Isländer "Nein" sagen, dann meinen sie nicht "Vielleicht", "Mal sehen" oder "Lasst uns morgen noch mal drüber reden", sondern sie meinen "Nein". Einfach nur "Nein". (Von Henryk Broder)

Heute sehen die Normannen aus Island nicht mehr so aus. Ein "Nein" ist bei ihnen allerdings immer noch ein "Nein"


Die Völker stehen Schlange, um in die EU aufgenommen zu werden. Die Türken und die Ukrainer, die Albaner und die Mazedonier, die Georgier und die Montenegriner. Nur ein kleines, störrisches Volk im hohen Norden will nicht, obwohl ihm die Union bereits eine Einladung geschickt hat.

Diesmal sind es nicht die Gallier unter der Führung von Asterix und Obelix, die einer fremden Macht die Stirn bieten, sondern die Isländer unter ihrer bürgerlichen Regierung, bestehend aus der konservativen Fortschrittspartei (früher Bauernpartei) und den Liberalen der Unabhängigkeitspartei, der stärksten Kraft im "Althing", dem isländischen Parlament.

Und wenn die Isländer "Nein" sagen, dann meinen sie nicht "Vielleicht", "Mal sehen" oder "Lasst uns morgen noch mal drüber reden", sie meinen "Nein".

Denn es waren nicht, wie oft behauptet, die Amerikaner, die Briten oder die Franzosen, welche die Demokratie, die Herrschaft des Volkes, erfunden und als Erste praktiziert haben, sondern die Isländer, und das schon sehr bald nach der "Landnahme", nämlich im Jahre 930.

Ein altes Volk von Wikingern und Neinsagern


Seitdem lernen sie das Neinsagen, noch bevor sie lesen und schreiben können, aus den "Sagas". Die sind das Rückgrat der isländischen Leitkultur, eine Anleitung zum Widerstand gegen jede Art von Willkür, gegen die Natur und das Wetter, gegen die Norweger, gegen die Dänen, gegen die Nato und jetzt gegen die EU.

Die isländische Regierung hat beschlossen, die 2010 eingereichte Kandidatur auf einen Beitritt Islands zur EU offiziell zu widerrufen. Die Verhandlungen darüber lagen seit einem knappen Jahr ohnehin auf Eis.

Seit dem Absturz des Landes in die Zahlungsunfähigkeit Ende 2008 hat sich das Land erstaunlich schnell erholt. 2013 lag die Arbeitslosigkeit bei 4,5 Prozent, die Inflation bei 3,1 Prozent; das Wirtschaftswachstum betrug 1,9 Prozent.

Aber es sind nicht allein wirtschaftliche Gründe, weswegen die Nachkommen der Wikinger auf Distanz zur EU gehen. Die können sich wieder ändern. Was bleibt, ist der Wunsch, "Sein eigener Herr" zu sein. So heißt auch ein Roman von Halldór Laxness aus den 30er-Jahren, den jeder Isländer schon als Kind gelesen hat.
© Axel Springer SE 2014. Alle Rechte vorbehalten (Die Welt)
Share:

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Popular Posts

NEWS

TIMES SQUARE BILLBORD
Erreicht 3 Millionen Menschen





Telepolis

Wirtschaftsprofessor will Giralgeldsystem gerichtlich bekämpfen


Blog-Archiv

Recent Posts